Endlose Stein– und Korkeichenwälder, unwegsame Berge, zahlreiche Wasserfälle, urige Dörfer und wenige Touristen: In der Barbagia im Inland von Sardinien warten atemberaubende Landschaften auf Besucher, die keine kurvenreichen Straßen scheuen.

Aus Sicht der Karthager war die karge, unwegsame Gegend, die sich an die Flanke des mächtigen Gennargentu-Gebirges schmiegt, halbes Barbarenland. Dem griechischen Geschichtsschreiber Diodor zufolge lebten die Einwohner in Hütten unter der Erde. Sie ernährten sich von Milch, Käse und Fleisch, das sie im Überfluss hatten. Nicht mal die Römer, die Sardiniens Küstengebiete im Jahr 238 v.Ch. überrannten und unter Kontrolle brachten, sind bis in die Barbagia vorgedrungen.

Barbagia: Ein Stück Wildnis im Herzen der Mittelmeerinsel

Noch heute liegen die winzigen Dörfer der Region gut getarnt in den Hügeln. Das Bergdorf Fonni ist von Tausendfünfhundert- und Tausendachthunderten umgeben, auf denen bis zum Frühling Schnee liegt. Hier kam man früher her, wenn man sich verstecken wollte. Vor dem Gesetz, vor dem Feind oder vor der Ehefrau. Heute führen Wanderwege zum Monte Spada (1.595 Meter), auf den Brunco Spina (1.829 Meter) und auf die Punta La Marmora, die mit 1834 Metern die höchste Spitze der Insel ist. Knapp 20 Kilometer nordöstlich von Fonni liegt Orgosolo. In dem Dorf zu Füßen des Monte Novo San Giovanni zieren mehr als 100 sozialkritische Murales (Wandbilder) die Fassaden der sonst eher schlichten und schmucklosen Häuser. Westlich des Weilers erhebt sich die karge Bergkette des Supramonte, die zu Sardiniens wildesten Naturlandschaften gehört. Das Gebirge ist ein Rückzugsort für zahlreiche bedrohte Tierarten wie Bussarde, Turmfalken und Steinadler, für Dammhirsche und die letzten Mufflons der Insel.

Die Barbagia ist aber längst nicht mehr nur ein Ziel für Wanderer. Zwischen sanften Hügeln und schroffen Felsen offenbart das Inland ein unberührtes Sardinien, in dem ehrgeizige Weinbauern einen köstlichen Rotwein keltern. Zehn Kilometer windet sich die SP 22 in Serpentinen von Orgosolo nach Mamoiada hinauf. Das kleine Bergdorf thront in 644 Meter ü. d. M. über einem Tal. An seinen sanft abfallenden Hängen gedeihen Reben, aus denen die lokalen Winzer einen reinsortigen Cannonau pressen. Das besondere Highlight in Mamoiada hat jedoch ein dunkles Zottelfell, eine gruselige Holzmasken und schwere Kuhglocken – dort pflegt die Gemeinde mit den Mamuthones an Fasching nämlich altertümliche Bräuche.

Weil gute Küche und Gastlichkeit schon immer typisch für die Barbagia waren, kann man sich überall in den Bergdörfern an reich gedeckte Tische setzen. Das Angebot reicht von einfachen Wirtschaften über eine bodenständige Agriturismoküche bis hin zu Gourmetspezialitäten. Ein Lokal, das seit Langem als erste Adresse für die traditionelle sardische Küche in der Barbagia gilt, ist das Su Gologone in Oliena. Hier bringt der Chef neben Delikatessen wie Milchferkel am Spieß, Wildschwein süß-sauer und Culurgiones mit Kartoffelfüllung auch die berühmte Nudelsuppe Filindeu auf den Tisch. Und die Hügellandschaft um Oliena liefert den nötigen Rebensaft – einen rubinroten Nepente. Nach dem Essen muss ein Spaziergang sein. Lohnenswert ist ein Besuch der nahegelegenen gleichnamigen Quelle, die mit ihrem glasklaren Wasser beeindruckt. Eine Alternative ist ein Ausflug zur Valle di Lanaittu. Mehrere Grotten und zwei bronzezeitliche Stätten der Nuraghen-Kultur (Tiscali & Sa Sedda ‘e Sos Carros) laden zum Wandern und Besichtigen ein. Und zur Kaffeepause? Wer süßes naschen und das Gesunde doch nicht ganz vernachlässigen will, fährt am besten nach Tonara. Das kleine Bergdorf liegt nördlich von Aritzo und ist inselweit für die Herstellung des besten Torrone – ein hervorragend schmeckender, knusprig-klebriger und gleichzeitig herrlich cremiger Nugat – bekannt. Freunde des Honignugats werden hier ihre Freude haben.

Info

Die vielen kleinen Feste, die alljährlich im Frühling und Herbst in der Barbagia stattfinden, sind für Touristen eine gute Gelegenheit die Sarden der Bergregion kennenzulernen. Mehr Infos und Termine gibt es unter www.cuoredellasardegna.it.